Eine geringere Sicherheit von modernen Kunstrasenplätzen ist nach derzeitigem Wissensstand nicht zu belegen. Aus Sicht des Autors ist es unwahrscheinlich, dass sich zukünftig herausstellen wird, dass das Fußballspiel auf Kunstrasen ein signifikant höheres Verletzungsrisiko birgt als jenes auf Naturrasen.
Die Entwicklung des Kunstrasens hat in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht. Im Gegensatz zu den ersten entwickelten Kunstrasenoberflächen (Kunstrasen der ersten und zweiten Generation), ist moderner Kunstrasen der dritten Generation in Bezug auf seine Spieleigenschaften sehr nah an das Original Naturrasen herangerückt. Während der herkömmliche Kunstrasen sich in die Erinnerungen der Spieler förmlich eingebrannt hat, gilt es nun, die vorhandenen Vorurteile in Frage zu stellen. Da Kunstrasen der dritten Generation erst seit wenigen Jahren auf dem Markt ist, kann es noch keine Langzeitstudien zur Sicherheit für die Spieler auf diesem Material geben. Es wurden jedoch mehrfach punktuelle Untersuchungen durchgeführt:
FIFA U-17 WM 1999 – 2005
Erstmals wurden die Junioren Weltmeisterschaften in Finnland und Peru ausgewertet, die FIFA 2003 in Finnland zum folgenden Ergebnis:
Im Vorfeld der Spiele stand die Angst vor dem potentiellen Verletzungsrisiko auf dem bisher wenig bekannten Spielbelag. Dieses und andere Themen wurden bei Versammlungen von Spielern, Trainern, Schiedsrichtern, Funktionären und Medizinern am 24. August in Helsinki diskutiert. Im Vergleich zur letzten FIFA U-17 WM in Trinidad & Tobago 2001 gab es eine vergleichbare Verletzungshäufigkeit. 7 Verletzungen in 10 Spielen wurden aus Helsinki berichtet – alle waren typische Fußballverletzungen.
Die Studie wurde mit der U-17 WM in Peru 2005 fortgeführt, und die Daten der 10 absolvierten Spiele wurden in die Statistik eingepflegt:
Erneut kam Kunstrasen in größerem Stile bei der „FIFA U-17 Championship Peru 2005“ zum Einsatz. Die Verletzungen aus 42 Spielen mit insgesamt 1386 Spielerstunden wurden ausgewertet. Es kam dabei zu 190 Verletzungen, 36 davon resultierten in Spiel- oder Trainingspausen von mindestens einem Tag. Als Referenz wurden 86 U-17 WM Spiele seit 1999 auf Naturrasen herangezogen. Bei diesen kam es zu 2.822 Spielerstunden mit 218 Verletzungen, davon resultierten 79 in Spiel- / Trainingspausen. Die Auswertungen zeigen sehr geringe Unterschiede bei Ursachen, Art und Folgen von Verletzungen, die bei diesem Turnier beobachtet werden konnten im Vergleich zu bestehenden Statistiken auf Naturrasen:
Ort der Verletzung | Naturrasen | Kunstrasen |
---|---|---|
Kopf / Nacken | 15% | 10% |
Arme / Schultern | 6% | 9% |
Rumpf | 8% | 9% |
Hüftregion | 2% | 2% |
Oberschenkel | 13% | 13% |
Knie | 11% | 13% |
Unterschenkel | 18% | 18% |
Knöchel / Fuß | 27% | 26% |
Summe | 100% | 100 |
Art der Verletzung | Naturrasen | Kunstrasen |
---|---|---|
Gehirnerschütterung | 3% | 2% |
Fraktur / Verrenkung | 0% | 1% |
Verstauchung | 13% | 14% |
Zerrung | 10% | 9% |
Prellung | 67% | 60% |
offene Wunde / Schürfwunde | 4% | 6% |
Sonstiges | 4% | 8% |
Bezogen auf 1000 Spielerstunden kam es auf Kunstrasen zu 79 Verletzungen, 26 davon mit Folgen für nachfolgendes Training / Spiele. Naturrasen kommt je 1000 Spielerstunden auf 77 Verletzungen, davon 28 mit nachfolgendem Trainings- / Spielausfall.
Aus diesen Zahlen ergibt sich kein statistisch signifikant höheres Verletzungsrisiko für das Fußballspiel auf Kunstrasen.
Weiterhin haben UEFA und die schwedische Sport Konföderation die bisher umfangreichste „Studie Risk of injury in elite football played on artificial turf versus natural grass: a prospective two-cohort study“ in Auftrag gegeben. Diese wurde von Prof. J Ekstrand, T. Timpka und M. Hägglund am „Department of Social Medicine and Public Health Science, Linköping University“ und der Sportklinik Linköping, Schweden erstellt.
Verletzungsrisiko für Profifußball auf Kunstrasen im Vergleich zu Naturrasen: ein prospektiver Vergleich von 2 Gruppen
Die Studie hat im Vergleich zu den Statistiken der U-17 WM eine erheblich größere Zahlengrundlage. Weiterhin sind die Verletzungsarten sowie auch die -schwere erheblich genauer wiedergegeben. Der sechsseitige Originaltext stellt die Methodik vor, bereitet die Daten zu differenzierten Statistiken auf und diskutiert die Ergebnisse kritisch. Die Vorgehensweise entspricht wissenschaftlichen Standards.
Es wurden mehr als 2000 Spiele sowie Trainigseinheiten ausgewertet mit insgesamt 90.191 Spielerstunden auf Kunstrasen und 66.077 Spielerstunden auf Naturrasen. Zusätzlich wurde eine Kontrollgruppe protokolliert und ausgewertet, die allein auf Naturrasen 82.940 Spielerstunden erfasst hat. Es kam zu 483 Verletzungen, 301 im Training und weitere 182 im Punktspielbetrieb. Die Datengrundlage dieser Studie ist damit erheblich größer als bei der vorgenannten Auswertung der FIFA U-17 WM. Leider ist auch die Klassifizierung der Verletzungen abweichend, dies erschwert den Vergleich der Studien. Die nachfolgende Tabelle zeigt die Häufigkeit von Verletzungen auf Kunstrasen und Naturrasen:
FIFA U 17: Ursache der Verletzung | ||||
Spielbelag | Alle Verletzungen | Verletzungen mit Spieler-Ausfall (1 oder mehr Tage – Training oder Wettkampf) | ||
Kontakt | körperlos | Kontakt | körperlos | |
Naturrasen | 86% | 14% | 85% | 15% |
Kunstrasen | 78% | 22% | 74% | 26% |
Die Tabelle zeigt Schwere und Häufigkeit von Verletzungen auf Kunstrasen und Naturrasen
Die Autoren der Studie stellen fest, dass Differenzen zwischen Kunstrasen und Naturrasen aufgefallen sind bei der erhöhten Anzahl der Knöchelverstauchungen (Ankle Sprain) sowie bei der niedrigeren Anzahl von Muskelverletzungen in den Beinen. Dieses Ergebnis sei jedoch mit großer Vorsicht zu interpretieren, da die absolute Anzahl dieser Verletzungen für eine statistische Auswertung zu gering ist. Weiterhin stellen die Autoren fest, dass Abschürfungen oder Verbrennungen, die keinen Trainings- oder Matchausfall zur Folge hatten, von der Statistik nicht erfasst wurden. Daher könnte diese Problematik in der Studie unterrepräsentiert sein.
Zusammenfassung der Studien:
Die Studien zeigen ähnliche Tendenzen. Ein erhöhtes Sicherheitsrisiko ist beim Fußballspiel auf Kunstrasen statistisch nicht zu belegen. Bezogen auf die Verletzungshäufigkeit je 1000 Spielerstunden ergibt sich bei der schwedischen Studie für Kunstrasen eine Häufigkeit von 19,6 im Spielbetrieb und 2,42 im Training. Naturrasen liegt mit einer Verletzungsrate von 21,48 für Punktspiele und 2,94 für den Trainingsbetrieb sogar geringfügig höher.
Bei der FIFA U-17 WM geht es deutlich härter zur Sache als im schwedischen Ligabetrieb. Die Youngstars brachten es bei diesen Spielen auf Verletzungsraten von 26 (je 1000 Spielerstunden) auf Kunstrasen und 28 auf Naturrasen. Während die Differenz zwischen den Spielbelägen ähnlich ausfällt wie im Ligabetrieb, kann die höhere Verletzungsrate sicherlich mit der besonders hohen Motivation der jungen Spieler erklärt werden, die hier die Chance haben sich für den hoch dotierten Profifußball zu empfehlen.
Technische Prüfung von Kunstrasen
Neben diesen statistischen Ansätzen gibt es auch technische Methoden der Risikoabschätzung. Dabei werden Parameter wie
- Kraftabbau
- Standardverformung
- Drehwiderstand
- Ballreflexion
- Veränderung der Ballgeschwindigkeit
- Ballrollverhalten
untersucht.
In der Vorbereitung sind Messungen zu den sogenannten „Rutschstürzen“, die gegenwärtig dem Experimentalstadium entwachsen. Der sogenannte „Slidingtester“ steht derzeit in der Überprüfung durch offizielle Stellen.
Zwischenzeitlich vorgestellte Firmenpräsentationen zeigen, dass in Bezug auf den Gleitreibungswiderstand Unterschiede zwischen den gegenwärtig vertriebenen Kunstrasensystem bestehen. Besonders interessant ist hier die Temperaturerhöhung (roter Balken):
Gleitreibungswiderstand bei horizontalen Stürzen – Rutschstürzen
Es ist abzuwarten, inwieweit diese Messungen mit den Eindrücken der Spieler korrelieren.
Aussagen des DFB zu Kunstrasen aus medizinischer Sicht
In Bezug auf die Verletzungsstatisitk nimmt der DFB Bezug auf die FIFA Studie „U-17 WM 2002-2005“. Weiterhin wertet der DFB auch Studien zum Thema Abrieb und Ausgasung von Kunststoffrasenbelägen aus. Abrieb und Ausgasung wurden im Hinblick auf gleichartiges Material in Tennishallen untersucht. „Die durchgeführten Untersuchungen ergaben keine Hinweise darauf, dass weitergehende Messungen unter praxisnahen Bedingungen in hygienischer Hinsicht zu einer besonders kritischen Beurteilung von Gummigranulatbelägen in Tennishallen führen könnten.“ Das Ergebnis ist sicherlich auf Soccerhallen übertragbar, Freiluftanlagen dürften auf Grund des hohen Luftausstauschs gänzlich unbedenklich sein.
Schwermetallgehalte von Kunststoffrasenbelägen
wurden ebenfalls untersucht. „Die Untersuchung der Materialproben auf ihre Schwermetallgehalte ergab folgende Erkenntnisse:
- Die Blei- und Arsenkonzentrationen sind unauffällig
- Die Zink- und Cadmiumkonzentrationen sind nicht gänzlich unauffällig, lassen jedoch kein höheres als das allgemeine Risiko erwarten.
- Im Laufe der Nutzung findet eine Konzentrationszunahme, vermutlich aufgrund eine Eintrages von außen, statt.
Eine letztendliche und gesicherte Bewertung möglicher Schwermetallbelastungen in hygienischer Hinsicht ist nur durch praxisnah durchzuführende Feinstaubmessungen und deren Auswertung möglich. Die Notwendigkeit derartiger, messtechnisch aufwendiger Messungen wird jedoch aufgrund der durchgeführten Risikoabschätzung nicht gesehen.
Fazit
Eine geringere Sicherheit von modernen Kunstrasenplätzen ist nach derzeitigem Wissensstand nicht zu belegen. Aus Sicht des Autors ist es unwahrscheinlich, dass sich zukünftig herausstellen wird, dass das Fußballspiel auf Kunstrasen ein signifikant höheres Verletzungsrisiko birgt als jenes auf Naturrasen. Weitere Risiken durch Ausdünstungen von Schadstoffen oder Feinstäube sind nach derzeitigem Stand des Wissens auszuschließen.
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